Der perfekt als Ort der Liebe

Sie waren auf ihrer siebentägigen Europa-Tour in London, Paris und Rom, haben Tower, Eiffelturm und Trevibrunnen gesehen – aber der Höhepunkt ihrer Reise ist ausgerechnet der Titlis-Gipfel. Engelberg in der Schweiz ist für indische Reisegruppen ein Sehnsuchtsort der Leidenschaft, wie es ihn nicht noch einmal gibt.
Hier wird geflirtet, getanzt, geschmachtet, sogar ein wenig geliebt, so wie es die Inder kennen aus vielen Bollywoodfilmen, die in Engelberg gedreht wurden. In denen darf allerdings nie wirklich geküsst werden, vielmehr muss alles in getanzten Traumsequenzen weit entfernt vom irdischen Alltag in Andeutungen dargestellt werden.

Der unschuldige Gipfel des Titlis in Engelberg ist der perfekte Ort dafür. Zumindest sehen das die Inder so, und die Schweizer freut es, grundsätzlich jedenfalls.Es dürfte aber auch Tage geben, an denen die Einwohner des kleinen 4000-Einwohner-Ortes daran zweifeln, ob die Idee eines der Bergbahn-Manager vor rund 20 Jahren wirklich so segensreich war, als er Kontakt zu der damals aufstrebenden Filmindustrie des Subkontinents aufnahm und sein Postkartenidyll für den indischen Liebesreigen anbot.

Damals war Engelberg nur im Winter ein gut besuchtes Reiseziel, auch geeignet für Tagesausflügler aus dem 80 Kilometer entfernten Zürich. Aber im Sommer sah es trübe aus: Überkapazitäten in den Hotels, überaltertes Publikum, allenthalben Langeweile. Also kam man auf die Idee, andere Besuchergruppen anzulocken. Inder zum Beispiel.

Und die bissen tatsächlich an. Bald wurden wunderbare Filme wie „Madly in Love“ in Engelberg gedreht, „Das Liebesdreieck“ (im Original: „Chori Chori Chupke Chupke“) fand seinen süßlich-romantischen Höhepunkt auf dem Titlis-Gletscher in 3200 Meter Höhe. Schon kurz nach der Aufführung der Bollywood-Werke in Indien lief plötzlich das Ganzjahresgeschäft.Seither hat sich einiges verändert; besonders von Mai bis Juli, wenn in Indien viel Regen fällt, quetschen sich Reisebusse mit indischen Gruppen auf dem Parkplatz der Talstation eng aneinander, das Straßenbild hat dann nur noch wenig von eidgenössischer Gelassenheit.

An den Rezeptionen stecken sich mitunter auch die unverheirateten Mitarbeiter einen Ehering auf, weil die Inder in der Goldschmiedearbeit das Symbol einer stabilen Persönlichkeit erkennen und solches Personal im Hotel erwarten. Und hinten in der Küche bollert währenddessen der indische Tandur-Ofen für Fladenbrote, denn Raclette und Rösti sind bei dieser Besuchergruppe nicht gefragt.

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